Kilimanjaro
, Tanzania / AfrikaBei Bergsteigern als Wanderausflug verpönt, aber für die Laien, wie wohl der Großteil der Touristen bezeichnet werden kann, eine echte Herausforderung. Sich mit der eigenen, wirklichen, bis hierher nie erlebten geistigen und körperlichen Leistungsgrenze auseinanderzusetzen, ist zwingend erforderlich, wenn man auf diesen Berg will. Doch vorher drei Tage "easy going"! Die verschiedensten Vegetationszonen komprimiert erleben.
Gleich nach der Ankunft wurden wir im Headquarters der Nationalparkverwaltung, an einem Modell des Kilimanjaro, mit der Örtlichkeit und den Gefahren der Höhenkrankheit vertraut gemacht. Von Übelkeit und Kopfschmerzen bis hin zu Hirnbluten und Lungenödemen wurde in den Ausführungen des Redners nichts ausgelassen (wollen wir da tatsächlich noch hoch ??). Nachdem unser Guide die Formalitäten erledigt hatte, starteten wir dann doch.
Ab "Marangu Gate" (1800 m) ging's durch Regenwald. Ganz locker, "POLE POLE", "langsam, langsam" wie es in der Landessprache heißt, ging es kontinuierlich dem Gipfel entgegen. Ein wenig war es schon noch wie ein Wanderausflug, bei dem wir die Natur genießen konnten. Wir hatten allezeit der Welt zu fotografieren und alles auf uns wirken zu lassen. Colobus Monkeys (Stummelaffen) machten einen Riesenspektakel, wenn wir in ihre Nähe kammen. Obwohl wir die Affen nicht einmal zu Gesicht bekamen, schien der ganze Wald voll davon zu sein. Nach etwa 10 km erreichten wir "Mandara" (2700 m), wo wir die erste Nacht verbrachten. Bis hier schien alles völlig easy. An die Krankengeschichten vom Vormittag haben wir zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gedacht.
Am nächsten Morgen kamen wir aus dem Nebelwald in einen Wald aus Baumheide und dann in Moorland. Gegen Mittag erreichten wir "Horombo" (3810 m). Dort war die Luft schon dünner. Die ersten Anzeichen der Höhe machten sich langsam in Form von "schwerem Atmen" bemerkbar. Tagsüber war es schön sonnig. Doch als die Sonne hinter dem Kibo (Hauptgipfel) verschwand, sank die Temperatur schnell unter den Gefrierpunkt. Dann wurde jeder Gang vor die Hütte, in den Waschraum oder den Speisesaal, ein Wettlauf gegen die Kälte.
Von "Horombo" aus ging es zur "Kibo Hut" (4725 m) auf dem "Saddle". Obwohl es kälter zu werden schien, brannte die Sonne noch mehr als an den Tagen zuvor. Jetzt befanden wir uns bereits in der Hochlandwüste, in der scheinbar nichts mehr wächst. Aber ein paar Flechten, die dem Wetter trotzten, gibt's hier schon. Der Gipfel lag jetzt völlig klar vor uns. Es sah von hier zum Greifen nah aus.
Auf dem "Saddle", ein Plateau zwischen dem "Kibo" und dem "Mawenzi", zog es wie Hechtsuppe. Nachmittags kam ein Schneesturm vom Kenia her auf, so dass der für die kommende Nacht geplante Aufstieg unmöglich schien. Aber unser Guide war zuversichtlich! Und dann um 18:00 Uhr ab in die Koje. In einen Raum mit weiteren zehn Leuten aus Japan, Italien, Kanada und was weiß ich noch woher, lag man im Schlafsack und glaubte zuerst noch, man könnte schlafen. Aber daraus wurde nichts. Die Luft war hier oben schon so dünn, dass man immer zweimal Luft holen musste, um die nötige Menge Sauerstoff zu erhalten. Und es war eine allgemeine Nervosität, in der nach eingeschlafenen Füßen stinkenden Butze im Gange, die keinen zur Ruhe kommen ließ.
Um 24:00 Uhr wecken (lächerlich, wir waren eh schon wach!), und dann die Henkersmahlzeit. Richtig gut schmeckte es nicht, aber das könnte auch an der allgemeinen Verfassung gelegen haben. Draußen hatte sich der Schneesturm verzogen. Sternenklarer Himmel, also optimale Bedingungen.
Der Anstieg war mörderisch. Auf einer ewig langen Schotterstrecke ging es sehr steil bergan. Drei Schritte vor und einer wieder zurück. Die Kräfte gingen hier schnell dem Ende entgegen. Die kurzen Pausen wurden immer häufiger. Die dunkle Kante, die oben am Himmel zu sehen war, die den Kraterrand darstellte, kam in den nächsten dreieinhalb Stunden einfach nicht näher. An der "Hans Meyer Cave" gab's eine etwas größere Pause und einen Beutel Studentenfutter. Ob die es noch bringt? Der Guide rauchte lieber eine. "Unfassbar!!!" Ich fragte ihn: "Was denkst du von den Leuten hier, die von der ganzen Welt herkommen, um auf den Berg zusteigen?" Er grinste nur! Sollte wohl heißen: "Ihr Deppen, ihr seid alle völlig bekloppt, aber ich verdiene ganz gut an Eurer Dummheit?!" Für die Einheimischen ist man eben schlicht ein Mzungu (Swahili = ein wanderndes Milchgesicht, verrückt und reich).
Ich merkte, dass Fury mein Mitstreiter nicht mehr so richtig mitkam. Er war nölig und hing immer etwas zurück. Dann bot ich ihm einen meiner Trekkingstöcke an. Er weigerte sich, ihn zu nehmen. Dann musste ich Fury etwas schärfer behandeln, bis er schließlich den Stock nahm. Es brachte ihn dann auch gleich nach vorne. Mit den Stöcken konnte man sich gut auf dem Geröll bewegen. Ich dagegen hatte dann nur noch den einen Stock, was mich augenblicklich zurückwarf. Aber irgendwann in dieser, mir endlos lang vorkommenden Zeit, ging es dann auch mit nur dem einem Stock.
Dann weiter zum "Gilman's Point", dem Kraterrand. Dort gilt der Kilimanjaro bereits als bestiegen. Dies ist mit der Weile das bescheidene Ziel geworden. Aber was mir auf dem Weg dorthin für Gedanken durch den Kopf gehen ist unbeschreiblich. Das ständige Deuten der Körperreaktionen, wie Kopfschmerzen, die langsam richtig zunehmen, Muskelschmerzen, Hustenreiz und Übelkeit, wird zur echten Prüfung. "Hat die Höhenkrankheit mich erwischt, gehe ich weiter, mache ich eine Pause, kehre ich um, oder schmeiße ich mich einfach hier hin und warte geduldig auf das Ende?" "Was soll der Blödsinn hier eigentlich, von weitem ist der Berg ja schließlich auch ganz schön?" "Ich muß weiter, jetzt erst recht, so kurz vorm Ziel! Immer nur weiter, ..... POLE POLE".
Da ist er dann endlich, der "Gilman's Point" (5685 m). Ich erkenne zwar wenig, aber ein Schild deutet darauf hin, dass wir ihn erreicht haben. Jetzt wo wir ein paar Minuten zur Ruhe kommen geht's los. Wir übergeben uns vor Erschöpfung. Die Nüsse und Rosinen aus dem Studentenfutter liegen nun halb verdaut hinter einigen Felsen im Krater des Kilimanjaro. "Egal, wir sind oben, warten auf den Sonnenaufgang und ab geht's wieder zurück!" Aber es ist noch sehr früh und bis zum Sonnenaufgang ist es bestimmt noch eine Stunde oder mehr. Der Guide wird ein wenig ungehalten und will uns zum Weitergehen motivieren. "Warum?? Wir sind schließlich oben!!" Dann wird es kalt, richtig kalt!!. Und irgendwie schafft er es doch uns wieder in Bewegung zu setzen. Wir überqueren große Eisfelder die sich anhören als ginge man über Styropor. Teilweise, so hab ich es jedenfalls in Erinnerung, sind wir auf allen Vieren gekrabbelt. Aber es war lange nicht mehr so anstrengend wie das Stück von der "Kibo Hut" zum "Gilman's Point". 06:20 Uhr, dann plötzlich dieses Schild:
Das Dach Afrikas!!!
Es dauerte einen Augenblick bis das realisiert war, aber dann, in wenigen Sekunden schlug tiefe Niedergeschlagenheit und körperliche Schwäche in eine absoluten Höhenflug um. So dicht liegen dort oben Freud und Leid beieinander.
Aber die ganze Quälerei weniger Stunden in der letzten Nacht, das Kotzen, die Kopfschmerzen und die eisige Kälte haben sich gelohnt. Wir sind jetzt höher als viele Sterne am Horizont und können auf sie hinunter blicken. Nichts ist höher und wir haben den absoluten Rundumblick, wie er beeindruckender kaum sein könnte.
Der Nachthimmel wurde durch die kurze Dämmerung und einen glasklaren Sonnenaufgang abgelöst, der überwältigend auf uns wirkte. Noch war alles menschenleer. Absolute Stille. Nur der eiskalte Wind rauschte in den Ohren und schien zentimetertiefe Rillen in das Gesicht zu schneiden. Trotzdem, in diesem Augenblick kommt Kraft in den völlig ausgebrannten Körper zurück und ein Gefühl absoluten Erfolges überkommt einen.
Trotzdem, lange können wir dort oben nicht verweilen. Der Wind, die Kälte und die ätzenden Kopfschmerzen machen es nicht gerade angenehm. Der anschließende Abstieg zurück zur "Kibo Hut" wurde zur freudigen Raserei, ging nur zu schnell vorbei. Denn der Weg für den wir in der Nacht Stunden gebraucht hatten, wurde jetzt in wenigen Minuten zurückgelegt. Die Kraft schien wieder voll da zu sein. Viele "HighTech Japaner" saßen am Hang in der Sonne. Uns und denen war klar, sie schaffen es nicht mehr. Nur gute Ausrüstung bringt es auch nicht. Das gab uns noch mehr das Gefühl, gesiegt zu haben. Obwohl sie uns schon Leid taten, denn sie haben etwas Großartiges verpasst.
An der "Kibo Hut" gab es einen kleinen Imbiss. Der schmeckte jetzt wieder prima. Das Essen war ohnehin die ganze Zeit über sehr gut. Gratulationen von unseren und anderen Trägern, die bei der "Kibo Hut" gewartet hatten, heben unser Selbstwertgefühl erneut und der Kraftakt zum "Gilman's Point" gerät schon jetzt fast in Vergessenheit. Wir tragen uns mit Begeisterung in das Gipfelbuch ein. Dann geht's zurück nach "Horombo", wo wir die Nacht verbringen und einem Australier jede Kleinigkeit der Besteigung mindestens zehnmal erklären müssen. Er ist sehr nervös, aber unser Erfolg scheint ihn noch mehr zu motivieren. Ob er es geschafft hat, ist bis heute unklar, aber wir haben ihm die Daumen gedrückt.
Am nächsten Morgen geht's zurück zum "Marangu Gate". Unterwegs fragen uns die aufsteigende Leute: "Did you make the PEAK??" "Yes, we did. It's very hard, but not impossible!! Good luck!" Und ein Grinsen können wir uns nicht verkneifen. In "Marangu Gate" trinken wir mit unserer Crew ein paar Biere zum Abschied, dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei. Aber die Eindrücke der letzten 5 Tage werden noch Jahre nachhaltig wirken.
(August 1997)